In diesem Artikel schildert Frau Werner ihre Eindrücke von der Kirche St. Hedwig.
Vier Wände, ein Satteldach, ein Garten, ein Zaun – schlicht und zweckmäßig – so wie in Vinnhorst dutzendfach die Siedlungshäuser der Schlesier dicht beieinander stehen, so ungefähr steht dort auch die Kirche, die der heiligen Hedwig geweiht ist, - einfach ein Haus, nur größer als die anderen.
Bis auf die Hedwigskrone mit Kreuz auf dem Giebelpunkt, die dieses Gebäude aus dunklem Ziegelstein als Kirche kenntlich macht, eigentlich erst einmal nichts Besonderes, möchte man meinen, - nur eine Scheune… (Aber mit „Scheunen“ kann man sich ja auch täuschen – wie schon damals in Bethlehem !)
Vom Rathaus her gehe ich auf die Kirche zu, der flache Querbau (Verbindung zum leider nie gebauten Turm) bildet im rechten Winkel mit dem Kirchengebäude einen kleinen Vorplatz mit Grünbepflanzung. Zwei große schwere Doppelportale laden in fast verschwenderischer Weite die Menschen zum Eintreten ein – worum es hier geht, in diesem Haus, ist auf den Kupfertüren wie in einer „Volksbibel“ bildlich dargestellt: rechts Jesus, der die Menschenmenge lehrt, ihnen von Gott erzählt – und links das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der dem verwundeten Mitmenschen hilft, während zwei andere distanziert vorbeigehen…
Durch das rechte Portal trete ich ein in den Vorraum, dessen Rückwand durch kleine quadratische Fenster mit Tageslicht durchsetzt ist. Hier stehe ich der heiligen Hedwig gegenüber, kostbar gestickt auf einem Wandbehang; Hedwig, die Fürstin (und Patronin) Schlesiens, trägt wie einen kostbaren Schrein die Kirche im Arm und am Herzen. Ihre Augen haben viel Leid gesehen – eigenes und fremdes – aber ihr Gewand strahlt in der Farbe der Liebe.
Wie eine Schleuse leitet mich der Vorraum nach rechts weiter in den großen dämmerigen Kirchenraum, einen Hallenbau, in dem das Hauptschiff klar begrenzt wird von grauen Betonstützen, die das Dach tragen. Rechts zwischen den Stützpfeilern wechseln sich geschlossene Wandabschnitte mit Fensterflächen ab – links stehen die Pfeiler frei und durch die hier weiter heruntergezogene Dachfläche und die Verschiebung der Wand nach außen öffnet sich der Raum ungefähr in der Mitte zu einer Kapelle oder Gebetsnische. Sie schließt seitlich ab mit einer Fensterfront, auf der der Kreuzweg dargestellt ist, und hier hat auch die große Schutzmantelmadonna (aus einem ganzen Lindenstamm geschnitzt) ihren Platz – ein verschwiegener Zufluchtsort für stille Beter oder sonntags eine Erweiterung des Kirchenraumes durch etliche Sitzplätze mehr.
Wie behauenes „Urgestein“ stehen im Hauptraum, vorn auf der Altarinsel, Ambo, Altar, und Tabernakelstele, gewichtig und mit einer Ausstrahlung von Unvergänglichkeit. In den hellgrauen Stein eingegraben sind Spuren der Natur: Wolken, Wellen, Jahresringe vielleicht oder Flammen? Einmalig ist der zentrale Blick auf den Altarraum: Die ansonsten eher triste erdfarbene Ziegelwand ohne Fenster wird gestaltet durch einen vom Giebel bis zum Fußboden reichenden breiten schillernden Streifen vieler einzelner mit Blattgold belegter Steine. Vor dem Hintergrund dieser „Lichtspur der Offenbarung“ verdichten sich die symbolischen Orte und Gegenstände zu einem bildgewordenen Glaubensbekenntnis – der Altar mit der Öffnung wie das leere Grab – darüber (dahinter) der Tabernakel mit der Abbildung des Engels, der dem kraftlosen Propheten Elija Speise zur Stärkung bringt – und über allem das große Kreuz mit dem wertvollen Korpus aus spätgotischer Zeit (Ende 15. Jh.) – sie „predigen“ Tod und Auferstehung Jesu, der für uns Kraft und Nahrung und Hoffnung ist.
Dies ist eine Kirche der Schlesier – erdverbunden und solide, gegründet im Bewährten, ohne Neigung zum Experiment. Ein bißchen zusammenrücken muss man schon in den enggestellten Bänken, die gebaut sind aus diesem besonderen Kernholz (ohne Äste!) der langsam gewachsenen Kiefer von jenseits der Oder – wie die Menschen, die auch einmal dort „gewachsen“ sind und die Heimat dann zurücklassen mussten. Der heimatlich warme Holzton durchleuchtet nun von überall her (Bänke, Beichtstühle, Orgelbrüstung) den Kirchenraum. Hier drinnen ergreift mich ein Gefühl von Deckung und Zuflucht, von Schutz und Sicherheit – Grundbedürfnisse von Menschen, denen der Krieg einst übel mitgespielt hat. Die bergende Geschlossenheit des Raumes wird durch die verdeckt gelegenen Eingänge begünstigt. Auch der Lichteinfall durch die großen Fensterflächen geht nicht auf Kosten der „Sicherheit“, denn ein stabiles Gitterwerk aus breiten Betonrahmen unterteilt die Flächen in viele kleine Fensterquadrate; dabei wird der strenge „vergitterte“ Eindruck abgeschwächt durch die über die Grenzen der Quadrate hinausreichenden roten und blauen Muster in den überwiegend farblosen Fenstern.
Nicht Größe und Erhabenheit, nicht Ungewöhnlichkeit, kein verspielter Charme, sondern die Klarheit in Linie und Form machen den Charakter dieser Kirche aus, ihre schnörkellose schlichte Würde. -
Zurück zum Ausgangsgedanken vom Haus: Ob groß, ob klein - so ein richtiges Zuhause hat auch noch eine Hintertür, die in den Garten führt. So auch dieses Gotteshaus. Der Pfarrgarten von St. Hedwig mit der Wiese und den Bäumen ist ein kleines Paradies! Und „wie im richtigen Leben“ ist für manchen, der dort zuhause ist, der Hintereingang der meistbenutzte ...
Maria Werner